Mittwoch, 8. November 2017

Editorische Schlampereien/Kafkas Kind/Ein Techtelmechtel/Liebe Mörderkollegen

Kafka erzeugt Angst!
1920 kultivierte Kafka die Angst, anstatt zu schreiben, okay, er war sehr krank (Lungentuberkulose), aber immerhin konnte er noch mit Milena Jesenska "rum huren", sie zumindest "aushalten" (finanziell unterstützen), Geld hatte er genug. Er schrieb dann 1922 auch noch Gewichtiges, z.B. "Das Schloss".
Ich lese derzeit Kafkas "Briefe an Milena", die erweiterte Taschenbuch-Neuausgabe von 1986, die schlecht ediert ist, besonders was die "Anmerkungen" zu den Briefen anbelangt, im Brieftext sind keine Anmerkungsverweise angebracht, die Seitenangaben der Anmerkungen beziehen sich auf die Taschenbucherstausgabe der Briefe, nicht auf die der erweiterten Neuausgabe, Briefrandbemerkungen Kafkas im Brieftext sind "unter Angabe der genauen Position unter dem entsprechenden Textteil abgedruckt" (am später aufgeführten Ort, Seite 427), der genauen Position der Erstausgabe (vermute ich, ich habe sie nicht zur Hand), Zeilenverweise zur Erstausgabe (na klar!) sind vorhanden, aber keine Zeilennummerierung in der Neuausgabe (wozu auch?). Die Seitenzahlen zwischen Erst- und Neuausgabe differieren um ca. 14 Seiten, die Zeilen entsprechen sich ebenfalls nicht. Der Lektor hat gepennt!

Eine unangenehme ferne Verwandte
"Sonst habe ich aber Gutes von ihr gehört[,] d.h. Verwandte haben sie hinter ihrem Rücken beschimpft", Franz Kafka: "Briefe an Milena", erweiterte und neu geordnete Ausgabe, herausgegeben von Jürgen Born und Michael Müller, Frankfurt am Main, 1986; Seite 155 (23. Juli 1920, zweiter Brief).
Erinnert mich etwas an de Sade's "Justine", an die "guten lieben" Mörderkollegen. Und relativ lustig ist die Kafka-Episode auch, der erste Briefwitz, vorher regierte die Angst; ich habe heute nach Ewigkeiten auch mal wieder von Angst geträumt, in Träumen Angst gehabt.

23.07.2000
"Ich könnte leben und lebe nicht", Franz K; woher?
Bei der Lektüre der rororo-Bildmonographie "Kafka" von Klaus Wagenbach eruiert (Reinbek bei HH, 1964): Das Kafka-Zitat steht in "Franz Kafka" ("Dichter über ihre Dichtungen"), herausgegeben von Erich Heller und Joachim Beug, München, 1969, auf Seite 156. Das Werk las ich 2000, vermutete das Zitat auch da, wusste aber nicht, von wann es stammt, denn meine Bemerkung war ja, "ab 18/20 hat Kafka es nicht geblickt", er hat das Zitat aber erst 1922 an Max Brod geschrieben, am 5. Juli 1922. Heller und Beug zitieren nach: "Briefe 1902 - 1924", Seite 384 ff. (fortfolgende; etwas, was ich beim Rechtsstudium erfahren habe, dem kurzen), "Copyright 1958 by Schocken Books Inc., New York City, USA" (a.a.O., Seite [188]).

So können Vorurteile entstehen
Ein Zitat von mir (die erste Bemerkung von heute): "1920 kultivierte Kafka die Angst, anstatt zu schreiben", dabei spielte seine Angst in den Briefen zu Milena nur im Juli/August 1920 ne bedeutende Rolle, danach war Kafka sogar lustig, schrieb gut, begann auch literarisch zu schreiben (bereits am 26. August erwähnte er das in einem Brief an Milena; a.a.O., Seite 243). Kafkas Briefe sind in verschiedenen Stimmungen verfasst, schrieb er literarisch, schrieb er gut, auch bereits kurz vorher; er hatte sich ja auch mit seinem lauen Job auseinander zu setzen (und anderen Menschen, nicht nur mit Milena).
Pauschalisierungen sind generell nicht ungefährlich, da sie Teilausschnitte gleich der Realität setzen, dabei sind sie Teilwahrheiten eines Ganzen. Ich habe mich z.B. aufgeregt, als ich vor kurzem ein Wahlplakat einer so genannten neoliberalen Partei sah, auf dem drauf stand, dass die "Scheinasylanten" raus müssten, da es Mietwucher gebe, Wohnspekulanten; dabei spekulieren mit der Miete ja wohl eher schlechte Österreicher, als Asylanten, die ja in der Regel keine Häuser bzw. Mietwohnungen besitzen, sonst würden sie ja Mittel und Wege finden, hier zu bleiben, etwas möglicherweise auch woanders reißen können. Ich riss das Plakat aber nicht runter, deren Grundtenor "Mietwucher! Raus mit den Scheinasylanten" lautete; ich war auch lange am überlegen, ob ich die Partei namentlich erwähnen sollte, entschloss mich dagegen, hoffe, dass sie sich noch weiter zersplittern und dann auflösen wird. 1998 schrieb ich mal, dass es mich wundere, dass die Spanier sich Urlaub in Irland leisten können, dabei gibt es über 36 Millionen Spanier, darunter viele Reiche, und bestimmt mindestens 7 Millionen potentielle Auslands-Urlauber (20 %), also knapp doppelt so viele wie Irland Einwohner hat, natürlich fährt nur ein Bruchteil im Sommer in einen Irlandurlaub, aber diese Leute machten sich bemerkbar. Und dann waren 1998 für mich Griechen als Volk schmutzig, dabei gab es schmutzige Griechen, aber daraus kann man einfach nicht auf alle Griechen schließen; und ich war in den 90er Jahren aus heutiger Sicht auch ein Syphbolzen, der teilweise Käsemauken hatte, weil er sie sich zu selten wusch. Und natürlich gibt es in Italien die Mafia (und nicht nur da), aber deshalb wird man nicht gleich ermordet, wenn man nach Italien fährt, oder zur Heroinspritze vergewaltigt oder oder (ne gewisse Gefahr bietet das Nachtleben schon an).
Noch nicht einmal 6000 Kraftfahrzeuge wurden 2006 in Österreich gestohlen, aber knappe 5,8 Millionen Kraftfahrzeuge unterwegs, zugelassen!
Kein Wunder, dass es den österreichischen Versicherungen so gut geht.
Verhaltensweisen müssen in der Regel einzeln geprüft werden.

"Kafka" von Klaus Wagenbach, Reinbek bei HH, 1964
Seite 91 (nach: "Tagebücher 1910 - 1923", Seite 318 f., Franz Kafka, "Gesammelte Werke", FfM, 1950 f.; 21.08.1913): "Ich lebe in meiner Familie, unter den besten und liebevollsten Menschen... Mit meiner Mutter habe ich in den letzten Jahren durchschnittlich nicht zwanzig Worte täglich gesprochen, mit meinem Vater kaum jemals mehr als Grußworte gewechselt." Genau wie ich; und "Mutter" wäre in letzter Zeit durch Winnie zu ersetzen.

A.a.O., Seite 94
Nach "Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit" (herausgegeben von Erich Heller und Jürgen Born, Frankfurt am Main, 1967 [!?]; das Wagenbach-Buch soll von 1964 sein!), Seite 574: Und also "berichtete" Kafka (nach Wagenbach) Grete Bloch (ich vermute, dass er ihr geschrieben hat, werde das erforschen, indem ich mir die "Briefe an Felice" ausleihe, und darüber auch berichten), dass Franz Grillparzers Katharina Grillparzer "vollständig gleichgültig" gewesen wäre, obwohl sie miteinander verlobt waren (das ist ein Aspekt Casanovascher Gleichgültigkeit, die bei einem Liebhaber zutreffen kann, aber bei einer Verlobten eigentlich nicht), Grillparzer behielt nach Kafkas "Bericht" (oder Brief, Gespräch?) seine Verlobte an jenem Abend noch eine Zeit lang auf seinem Schoß und suchte sich nach einem Weilchen doch von ihr zu befreien. Wagenbach vermutet, dass diese Episode gegen Felice Bauer gerichtet ist, ich vermute eher, dass Kafka Grete ein Beziehungsnein verdeutlichen wollte, dass er ihr gegenüber gefühlskalt sei (sie hatten möglicherweise ein Techtelmechtel: Grete war Felices Freundin, bekam nach eigener Aussage von Kafka ein Kind, das früh verstarb). Die von Wagenbach geschilderte Episode spielte sich 18 Tage vor Kafkas Verlobung mit Felice ab, der ersten, im Juni 1914; am 12. Juli wird die Verlobung gelöst, was macht man während einer 42-tägigen Verlobungszeit?
Ich hätte geschrieben, Mann wichst.

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