"Im
Dom"
Auch
nach dem "Dom"-Kapitel hätte "Der Prozess"
bedenkenlos beendet werden können (dann als Roman): "'Ich
gehöre also zum Gericht', sagte der Geistliche. 'Warum sollte ich
also etwas von dir wollen? Das Gericht will nichts von dir. Es nimmt
dich auf wenn du kommst und es entlässt dich wenn du gehst.'"
A.a.O., S. 235.
Die
Handlung ist logisch, stringent aufeinander folgend, kein Fehler fiel
mir auf, nur das Kapitel "Kaufmann Block/Kündigung des
Advokaten", Seiten 175 - 208, ist unvollendet, die Kündigung
wurde da noch nicht ausgesprochen und dass Josef K. weiterhin
Kontakte zu Leni aufrecht erhalten wollte, das fehlt; dann wäre der
Anschluss an das Dom-Kapitel gewahrt; im Roman selbst folgt dann noch
das "Ende", ohne Artikel, das anfänglich gedachte Ende,
sage ich, denn Kafka blickte echt nicht, dass es dann mehrere andere
Enden gab, zumindest potenziell die von mir aufgeführten, und nicht
nur die Türhüterlegende "Vor dem Gesetz" raus zu
schreiben gewesen wäre. Und dennoch ist unwahrscheinlich, auch bei
Publikation des Romans (in welcher Fassung auch immer), dass Kafka da
vom Schreiben hätte leben können, seine Romane zu Lebzeiten
Millionenauflagen erreicht hätten, wie nach seinem Tode.
Als
er die Zeitfreiheit nach der Pensionierung hatte, da schrieb er
großartig, nur die Krankheit hinderte ihn; so weit war seine Analyse
also richtig.
Und
ich leide am Qualm auf der Arbeit, bin deshalb so nach den Schichten
kaputt, nicht etwa weil ich so selten arbeite, das deshalb nicht
verkraften könne.
Eigene
Zeit
Es
ist zwar richtig, dass die Uhrzeiten bei einer Handschriftausgabe die
beinhalten muss, die Kafka schrieb (und nicht etwa die Brod mehr
gefallen haben), dennoch unterliegen die Uhrzeitangaben Kafkas "Im
Dom" seinem Fehler, wenn Josef K. um 11 am Dom eintraf (Seite
216), dann war es nur folgerichtig, dass der Italiener nicht mehr da
war, mit dem er sich um 10 dort treffen sollte (Seite 213), dann kann
es aber bei einem erneuten Blick auf die Uhr nicht wieder 11 sein
(Seite 220), als der Gefängnisgeistliche ihn dort anspricht, nachdem
Josef K. eine halbe Stunde oder so in der Kirche rum lungerte
(gewartet hat). Nach dem Gespräch hätte es elf sein können, dann
fürwahr wäre es seine persönliche Zeit gewesen, das heißt eher
die Nullzeit der Gerichtsebene.
Und
in den vollendeten Kapiteln, ja dem vollendeten Roman ist Josef
eigentlich nie kaputt (nur in den Kanzleien ist ihm mal schwindelig,
er "Im Dom" verkühlt, durch Reisen, die er machen musste),
Herr K. (etwas Brecht-Schleimerei, da Keuner).
Und
meiner Meinung nach sind in der Kafkaschen Handschrift die Zahlen
(Uhrzeiten) als Ziffern und nicht als Zahlwörter ausgeschrieben
worden, wie eben bei mir, das wäre dann ein Eingriff in die
Originalhandschrift gewesen (ich habe im letzten, vorletzten Monat
die Fotokopien der Handschrift gelesen), der vielleicht auch in dem
Apparateband zur Kritischen Ausgabe aufgeführt ist?!
Und
definitiv sicher bin ich mir dessen nicht, ich weiß nur, dass mir
die logischen Zeitunstimmigkeiten in 2 Fällen aufgefallen sind.
Ich
weiß echt nicht mehr, wie die Brodsche Version aussah, und ich las
den Roman da ja vom Anfang zum Ende, ohne das zu kennen, was da
passieren würde, deshalb die Spannung jenseits von Literaturkritik,
aber jedenfalls wollte ich dann die Fragmente erstmals in die
Handlung einordnen, was aber nicht sein musste, da die meisten
Sackgassen von Kafka waren und deshalb ja nicht in den Roman
eingefügt; das erste, so genannte Fragment ist ein beendetes
Kapitel, das nach dem 2. hätte eingefügt werden können, dann aber
Fräulein Bürstner eine Bedeutung beimessen würde, die sie in
diesem Romane nicht verdient hätte: Nebenschauplatz.
Das
Fragment "Staatsanwalt" ist schon eher unvollendet, aber
eine vollständige Sackgasse, denn wenn K. solch ein gutes Verhältnis
zu dem Hasterer hätte, dann wäre es ja geradezu absurd einen
(Winkel-) Advokaten wie Herrn Huld zu Rate zu ziehen, auch wenn K.'s
Onkel dieser Meinung war (aber auch deshalb war ja die Kündigung
dann erst recht notwendig), und auch obwohl der Hasterer Staatsanwalt
und nicht Verteidiger war.
Das
Mysterium der Fragmente macht den Roman für mich aus heutiger Sicht
interessanter als das andere, er selbst (was wiederum ein bedeutender
Fingerzeig für Max Brods herausragende Public Relations-Fertigkeiten
wäre, das Vermarktungsgeschick): Immer kommt es mir in den Sinn,
dass Kafka 70 Jahre nach seinem Tode ja "nur" knappe 1
Prozent des Gesamtumsatzes des Fischerverlages ausmachte.
Die
Quote ist natürlich eingebrochen, da die Werke danach frei wurden,
der Gesamtumsatz in Deutschland ist aber möglicherweise sogar noch
gestiegen, durch mich, die KKA, Kafkas Kritische Ausgabe, die
historisch-kritische Ausgabe (HKA) vom Stroemfeld/Roter Stern-Verlag,
dessen Ausgabe auf 40 Bände angelegt ist, die
"Proceß"-Handschrift-Xerokopie plus CD-ROM und
Parallel-Textdruck der Handschrift kostet schlappe 199,- Euro.
Das
"Ende" fand ich jetzt beim zweiten Lesen auch etwas
artifiziell, da die Vollstrecker wie Schauspieler ("An welchem
Theater spielen Sie?" Seite 236), Tenöre, anhand ihres
Doppelkinns (Seite 237) oder Krankenwärter wirkten: Kunst (bis auf
die Krankenwärter) und Religion (höheres Gericht): Ich bin nicht
krank, ich kann schreiben (Gott giebt es nicht; Eklektizismus von
mir, obwohl ich sprachlich heute eher Felice drauf hatte als Franz).
Es
gibt in dem Roman nur zwei Fragmente
Im
Textkorpus oder vielleicht besser Romankörper: "Kaufmann
Block/Kündigung des Advokaten" (Seiten 175 - 208) und das so
genannte Fragment "Kampf mit dem Direktor-Stellvertreter"
(Seiten 263 - 267), das durch ein Wort beendet werden konnte, könnte:
"...'Schlechtes Holz', sagte der Direktor-Stellvertreter
ärgerlich, ließ vom Schreibtisch ab und setzte" (a.a.O., S.
267) sich.
Das
würde als Dokument der Ungleichstellung vom Prokuristen (Josef K.)
und dem Direktor-Stellvertreter ausreichen, obwohl K. sich anfänglich
stark fühlte, ihm Paroli zu bieten. Aber auch dann wäre die ganze
Angelegenheit redundant, überflüssig, eine Sackgasse zwar nicht,
aber sinnfällig erst bei weiterer Ausführung, einer Fortführung
des Prozesses ins Unendliche (wie beim Verschollenen erwogen): "Das
letzte Jahr im Leben des Josef K."
So
könnte man das erstgenannte Kapitel dann durchaus als beendet
ansehen, wenn danach die Formulierung der Kündigung im Folgekapitel
ausgeführt würde (analog zu sehen zum Kapitel "Fahrt nach
Ramses" im "Verschollenen", denn die Stadt wird auch
erst im "Hotel Occidental" benannt). Aber dann wäre der
Roman ja tatsächlich unbeendet, während ein Satz genügen würde,
um die Logik aufrecht zu erhalten: "'Block', sagte Leni in
warnendem Ton und zog ihn am Rockkragen ein wenig in die Höhe. 'Lass
jetzt das Fell und höre dem Advokaten zu.'" A.a.O., S. 208:
Josef K. hatte jetzt genug gehört, er wusste dass die weitern
Ausführungen des Advokaten nur Verschleierung waren, er schrie aus:
"Ich entziehe Ihnen mein Mandat!" Und er stürzte zur Tür,
Leni folgte ihm; der Advokat schrie ihr hinterher, aber sie
begleitete Josef zur Tür, der doch noch sagte, dass sie sich bei ihm
melden dürfe, bevor er noch einen flüchtigen Kuss von ihr erhielt
und nach Hause eilte.
Es
war für Kafka nicht leicht in all den Handschriften durch zu
steigen, den verschiedenen Manuskriptteilen, das ist bei gedruckten
Werken schon nicht so leicht, nur bei Texten, die man digital
schriftlich zur Verfügung hat, wo man einzelne Worte dann per
Textprogramm suchen lassen kann. Das macht das leichter.
Brod
soll den Roman in der Erstausgabe unfragmentarisch raus gegeben
haben, in der Variante, die ich las, waren sogar, so glaube ich, die
durchgestrichenen Passagen enthalten.
Zum
Nachwort von Malcolm Pasley möchte ich nur bemerken, dass es was die
"Elf" anbelangt Konfuzius ist, er ahnungslos, obwohl
Malcolm wohl einen großen Namen in dem Metier hat (hatte?):
Mitherausgeber der Kritischen Kafka Ausgabe im Fischer Verlag war er
wohl, zumindest einiger Bände. Tja, wenn man nicht Deutsch kann:
"'K. war pünktlich gekommen, gerade bei seinem Eintritt hatte
es elf geschlagen, der Italiener war aber noch nicht hier.' (S. 216)
An dieser Stelle hat Brod die 11 - offenbar wiederum in der Annahme
dass sich der Autor verschrieben hat - zu einer 10 geändert. Dabei
ist jedoch jener unheimliche 'Zeitrutsch' verkannt worden, der sowohl
in diesem Kapitel wie auch schon im Kapitel 'Erste Untersuchung' den
Übergang aus der öffentlichen Sphäre in eine private Sphäre
andeutet. Nach Josef K.'s 'privater Zeitmessung' ist es allerdings
zehn: erst nachdem er eine Stunde im Dom verbracht hat, zeigt seine
eigene Uhr (wie uns der Erzähler sorgfältig mitteilt) auf elf."
Vielleicht hat er sich auch beim Glockenschlag geirrt, verhört,
verzählt, oder der Glöckner?
Unsinn,
in der realen Zeit wäre es 10, nicht in Josef K.'s, da elf-elf-elf:
Und warum hat ihn das nicht verwirrt? Hej, meine Uhr ist stehen
geblieben, that's it! Oder den Erzähler?
Das
ist aber eine Kritik an der Brodschen Fassung des letzten Kapitels,
die Pasley vorbringt, nicht an der Kafkaschen Handschrift.
Pasley
bringt auch noch andere Beispiele der Zeitmetapher, z.B. dass in
"Gibs auf!" die Turmuhr schon viel später anzeigte, als
der zum Bahnhof eilende Akteur glaubte, aber den Glaubensaspekt
wischt Pasley beiseite: "Ein Kommentar" (Franz Kafka: "Das
Ehepaar und andere Schriften aus dem Nachlass", Frankfurt am
Main 1994, Seite 130).
Gute
Kafka-Zitate, aber nicht gute Stützen für Pasleys These: a.a.O., S.
284 f.
Anthony
Northey
"Kafkas
Mischpoche", kuhles Wort, stammt das nicht von dem?
Wenn
die Namen so gehn, ja.