"Elf
Söhne"
Zu
Kafkas Lebzeiten im Landarzt-Band erschienen (1920).
Von
1916.
Also
fiel der Erste Weltkrieg dazwischen; einerseits heißt das, dass die
Erzählung trotz des Krieges vor Kafka bestand, andererseits wurde
die Publikation von "Ein Landarzt" verzögert, durch die
Kriegswirren.
Auch
aus Prag wurde massenhaft deportiert
Und
dann gibt es Leute, die sagen, sie hätten von nichts gewusst.
Mag
sein, dass die Leute auf dem Lande unschuldig waren, unwissend, aber
in der Großstadt wohl kaum, höchstens aus Ignoranz, Mitläufertum.
Natürlich
ist es trotzdem schwierig, was dagegen zu machen, aber
Wissensleugnung ist trotzdem Not-Lüge gewesen.
"Selbstwehr"
Der
Name lässt eigentlich schon auf jüdische Wehr schließen, nicht
Schicksalsergebenheit.
Zionistische
Wochen-Zeitschrift, 1907 – 1938 (verboten worden).
Die
kleine Frau (Madame Monier)
Macht
an, Scherz, nein, erinnert auch an eine Kafka-Erzählung, die
Beschreibung seiner Berliner Wirtin: "Eine kleine Frau",
aus dem Hungerkünstlerband (1924 erschienen, 2 Monate nach seinem
Tode, aber von ihm autorisiert).
Franz
Kafka: "Eine kleine Frau"
"Es
ist eine kleine Frau; von Natur aus recht schlank, ist sie doch stark
geschnürt; ich sehe sie immer im gleichen Kleid, es ist aus gelblich
grauem, gewissermaßen Holz farbigem Stoff und ist ein wenig mit
Troddeln oder knopfartigen Behängen von gleicher Farbe versehen; sie
ist immer ohne Hut, ihr stumpf-blondes Haar ist glatt und nicht
unordentlich, aber sehr locker gehalten. Trotzdem sie geschnürt ist,
ist sie doch leicht beweglich, sie übertreibt freilich diese
Beweglichkeit, gern hält sie die Hände in den Hüften und wendet
den Oberkörper mit einem Wurf überraschend schnell seitlich. Den
Eindruck, den ihre Hand auf mich macht, kann ich nur wiedergeben,
wenn ich sage, dass ich noch keine Hand gesehen habe, bei der die
einzelnen Finger derart scharf voneinander abgegrenzt wären, wie bei
der ihren; doch hat ihre Hand keineswegs irgendeine anatomische
Merkwürdigkeit, es ist eine völlig normale Hand.
Diese
kleine Frau nun ist mit mir sehr unzufrieden, immer hat sie etwas an
mir auszusetzen, immer geschieht ihr Unrecht von mir, ich ärgere sie
auf Schritt und Tritt; wenn man das Leben in allerkleinste Teile
teilen und jedes Teilchen gesondert beurteilen könnte, wäre gewiss
jedes Teilchen meines Lebens für sie ein Ärgernis. Ich habe oft
darüber nachgedacht, warum ich sie denn so ärgere; mag sein, dass
alles an mir ihrem Schönheitssinn, ihrem Gerechtigkeitsgefühl,
ihren Gewohnheiten, ihren Überlieferungen, ihren Hoffnungen
widerspricht, es gibt derartige einander widersprechende Naturen,
aber warum leidet sie so sehr darunter? Es besteht ja gar keine
Beziehung zwischen uns, die sie zwingen würde, durch mich zu leiden.
Sie müsste sich nur entschließen, mich als völlig Fremden
anzusehn, der ich ja auch bin und der ich gegen einen solchen
Entschluss mich nicht wehren, sondern ihn sehr begrüßen würde, sie
müsste sich nur entschließen, meine Existenz zu vergessen, die ich
ihr ja niemals aufgedrängt habe oder aufdrängen würde – und
alles Leid wäre offenbar vorüber. Ich sehe hierbei ganz von mir ab
und davon, dass ihr Verhalten natürlich auch mir peinlich ist, ich
sehe davon ab, weil ich ja wohl erkenne, dass alle diese Peinlichkeit
nichts ist im Vergleich mit ihrem Leid. Wobei ich mir allerdings
durchaus dessen bewusst bin, dass es kein liebendes Leid ist; es
liegt ihr gar nichts daran, mich wirklich zu bessern, zumal ja auch
alles, was sie an mir aussetzt, nicht von einer derartigen
Beschaffenheit ist, dass mein Fortkommen dadurch gestört würde.
Aber mein Fortkommen kümmert sie eben auch nicht, sie kümmert
nichts anderes als ihr persönliches Interesse, nämlich die Qual zu
rächen, die ich ihr bereite, und die Qual, die ihr in Zukunft von
mir droht, zu verhindern. Ich habe schon einmal versucht, sie darauf
hinzuweisen, wie diesem fortwährenden Ärger am besten ein Ende
gemacht werden könnte, doch habe ich sie gerade dadurch in eine
derartige Aufwallung gebracht, dass ich den Versuch nicht mehr
wiederholen werde.
Auch
liegt ja, wenn man will, eine gewisse Verantwortung auf mir, denn so
fremd mir die kleine Frau auch ist, und so sehr die einzige
Beziehung, die zwischen uns besteht, der Ärger ist, den ich ihr
bereite, oder vielmehr der Ärger, den sie sich von mir bereiten
lässt, dürfte es mir doch nicht gleichgültig sein, wie sie
sichtbar unter diesem Ärger auch körperlich leidet. Es kommen hier
und da, sich mehrend in letzter Zeit, Nachrichten zu mir, dass sie
wieder einmal am Morgen bleich, übernächtigt, von Kopfschmerzen
gequält und fast arbeitsunfähig gewesen sei; sie macht damit ihren
Angehörigen Sorgen, man rät hin und her nach den Ursachen ihres
Zustandes und hat sie bisher noch nicht gefunden. Ich allein kenne
sie, es ist der alte und immer neue Ärger. Nun teile ich freilich
die Sorgen ihrer Angehörigen nicht; sie ist stark und zäh; wer sich
so zu ärgern vermag, vermag wahrscheinlich auch die Folgen des
Ärgers zu überwinden; ich habe sogar den Verdacht, dass sie sich –
wenigstens zum Teil – nur leidend stellt, um auf diese Weise den
Verdacht der Welt auf mich hin zu lenken. Offen zu sagen, wie ich sie
durch mein Dasein quäle, ist sie zu stolz; an andere meinetwegen zu
appellieren, würde sie als eine Herabwürdigung ihrer selbst
empfinden; nur aus Widerwillen, aus einem nicht aufhörenden, ewig
sie antreibenden Widerwillen beschäftigt sie sich mit mir; diese
unreine Sache auch noch vor der Öffentlichkeit zu besprechen, das
wäre für ihre Scham zu viel. Aber es ist doch auch zu viel, von der
Sache ganz zu schweigen, unter deren unaufhörlichem Druck sie steht.
Und so versucht sie in ihrer Frauenschlauheit einen Mittelweg;
schweigend, nur durch die äußern Zeichen eines geheimen Leides will
sie die Angelegenheit vor das Gericht der Öffentlichkeit bringen.
Vielleicht hofft sie sogar, dass, wenn die Öffentlichkeit einmal
ihren vollen Blick auf mich richtet, ein allgemeiner öffentlicher
Ärger gegen mich entstehen und mit seinen großen Machtmitteln mich
bis zur vollständigen Endgültigkeit viel kräftiger und schneller
richten wird, als es ihr verhältnismäßig doch schwacher privater
Ärger imstande ist; dann aber wird sie sich zurückziehen, aufatmen
und mir den Rücken kehren. Nun, sollten dies wirklich ihre
Hoffnungen sein, so täuscht sie sich. Die Öffentlichkeit wird nicht
ihre Rolle übernehmen; die Öffentlichkeit wird niemals so unendlich
viel an mir auszusetzen haben, auch wenn sie mich unter ihre stärkste
Lupe nimmt. Ich bin kein so unnützer Mensch, wie sie glaubt; ich
will mich nicht rühmen und besonders nicht in diesem Zusammenhang;
wenn ich aber auch nicht durch besondere Brauchbarkeit ausgezeichnet
sein sollte, werde ich doch auch gewiss nicht gegenteilig auffallen;
nur für sie, für ihre fast weiß strahlenden Augen bin ich so,
niemanden andern wird sie davon überzeugen können. Also könnte ich
in dieser Hinsicht völlig beruhigt sein? Nein, doch nicht; denn wenn
es wirklich bekannt wird, dass ich sie geradezu krank mache durch
mein Benehmen, und einige Aufpasser, eben die fleißigsten
Nachrichten-Überbringer, sind schon nahe daran, es zu durchschauen
oder sie stellen sich wenigstens so, als durchschauten sie es, und es
kommt die Welt und wird mir die Frage stellen, warum ich denn die
arme kleine Frau durch meine Unverbesserlichkeit quäle und ob ich
sie etwa bis in den Tod zu treiben beabsichtige und wann ich endlich
die Vernunft und das einfache menschliche Mitgefühl haben werde,
damit aufzuhören – wenn mich die Welt so fragen wird, es wird
schwer sein, ihr zu antworten. Soll ich dann eingestehn, dass ich an
jene Krankheitszeichen nicht sehr glaube und soll ich damit den
unangenehmen Eindruck hervorrufen, dass ich, um von einer Schuld
loszukommen, andere beschuldige und gar in so unfeiner Weise? Und
könnte ich etwa gar offen sagen, dass ich, selbst wenn ich an ein
wirkliches Kranksein glaubte, nicht das geringste Mitgefühl hätte,
da mir ja die Frau völlig fremd ist und die Beziehung, die zwischen
uns besteht, nur von ihr hergestellt ist und nur von ihrer Seite aus
besteht. Ich will nicht sagen, dass man mir nicht glauben würde; man
würde mir vielmehr weder glauben noch nicht glauben; man käme gar
nicht so weit, dass davon die Rede sein könnte; man würde lediglich
die Antwort registrieren, die ich hinsichtlich einer schwachen,
kranken Frau gegeben habe, und das wäre wenig günstig für mich.
Hier wie bei jeder andern Antwort wird mir eben hartnäckig in die
Quere kommen die Unfähigkeit der Welt, in einem Fall wie diesem den
Verdacht einer Liebesbeziehung nicht aufkommen zu lassen, trotzdem es
bis zur äußersten Deutlichkeit zutage liegt, dass eine solche
Beziehung nicht besteht und dass, wenn sie bestehen würde, sie eher
noch von mir ausginge, der ich tatsächlich die kleine Frau in der
Schlagkraft ihres Urteils und der Unermüdlichkeit ihrer Folgerungen
immerhin zu bewundern fähig wäre, wenn ich nicht eben durch ihre
Vorzüge immerfort gestraft würde. Bei ihr aber ist jedenfalls keine
Spur einer freundlichen Beziehung zu mir vorhanden; darin ist sie
aufrichtig und wahr; darauf ruht meine letzte Hoffnung; nicht einmal,
wenn es in ihren Kriegsplan passen würde, an eine solche Beziehung
zu mir glauben zu machen, würde sie sich soweit vergessen, etwas
Derartiges zu tun. Aber die in dieser Richtung völlig stumpfe
Öffentlichkeit wird bei ihrer Meinung bleiben und immer gegen mich
entscheiden.
So
bliebe mir eigentlich doch nur übrig, rechtzeitig, ehe die Welt
eingreift, mich soweit zu ändern, dass ich den Ärger der kleinen
Frau nicht etwa beseitige, was undenkbar ist, aber doch ein wenig
mildere. Und ich habe mich tatsächlich öfters gefragt, ob mich denn
mein gegenwärtiger Zustand so befriedige, dass ich ihn gar nicht
ändern wolle, und ob es denn nicht möglich wäre, gewisse
Änderungen an mir vorzunehmen, auch wenn ich es nicht täte, weil
ich von ihrer Notwendigkeit überzeugt wäre, sondern nur, um die
Frau zu besänftigen. Und ich habe es ehrlich versucht, nicht ohne
Mühe und Sorgfalt, es entsprach mir sogar, es belustigte mich fast;
einzelne Änderungen ergaben sich, waren weithin sichtbar, ich musste
die Frau nicht auf sie aufmerksam machen, sie merkt alles Derartige
früher als ich, sie merkt schon den Ausdruck der Absicht in meinem
Wesen; aber ein Erfolg war mir nicht beschieden. Wie wäre es auch
möglich? Ihre Unzufriedenheit mit mir ist ja, wie ich jetzt schon
einsehe, eine grundsätzliche; nichts kann sie beseitigen, nicht
einmal die Beseitigung meiner selbst; ihre Wutanfälle etwa bei der
Nachricht meines Selbstmordes wären grenzenlos. Nun kann ich mir
nicht vorstellen, dass sie, diese scharfsinnige Frau, dies nicht
ebenso einsieht wie ich, und zwar sowohl die Aussichtslosigkeit ihrer
Bemühungen als auch meine Unschuld, meine Unfähigkeit, selbst bei
bestem Willen ihren Forderungen zu entsprechen. Gewiss sieht sie es
ein, aber als Kämpfernatur vergisst sie es in der Leidenschaft des
Kampfes, und meine unglückliche Art, die ich aber nicht anders
wählen kann, denn sie ist mir nun einmal so gegeben, besteht darin,
dass ich jemandem, der außer Rand und Band geraten ist, eine leise
Mahnung zuflüstern will. Auf diese Weise werden wir uns natürlich
nie verständigen. Immer wieder werde ich etwa im Glück der ersten
Morgenstunden aus dem Hause treten und dieses um meinetwillen
vergrämte Gesicht sehn, die verdrießlich aufgestülpten Lippen, den
prüfenden und schon vor der Prüfung das Ergebnis kennenden Blick,
der über mich hinfährt und dem selbst bei größter Flüchtigkeit
nichts entgehen kann, das bittere in die mädchenhafte Wange sich
einbohrende Lächeln, das klagende Aufschauen zum Himmel, das
Einlegen der Hände in die Hüften, um sich zu festigen, und dann in
der Empörung das Bleichwerden und Erzittern.
Letzthin
machte ich, überhaupt zum ersten Mal, wie ich mir bei dieser
Gelegenheit erstaunt eingestand, einem guten Freund einige
Andeutungen von dieser Sache, nur nebenbei, leicht, mit ein paar
Worten, ich drückte die Bedeutung des Ganzen, so klein sie für mich
nach außen hin im Grunde ist, noch ein wenig unter die Wahrheit
hinab. Sonderbar, dass der Freund dennoch nicht darüber hinweg
hörte, ja sogar aus Eigenem der Sache an Bedeutung hinzugab, sich
nicht ablenken ließ und dabei verharrte. Noch sonderbarer
allerdings, dass er trotzdem in einem entscheidenden Punkt die Sache
unterschätzte, denn er riet mir ernstlich, ein wenig zu verreisen.
Kein Rat könnte unverständiger sein; die Dinge liegen zwar einfach,
jeder kann sie, wenn er näher hinzutritt, durchschauen, aber so
einfach sind sie doch auch nicht, dass durch mein Wegfahren alles
oder auch nur das Wichtigste in Ordnung käme. Im Gegenteil, vor dem
Wegfahren muss ich mich vielmehr hüten; wenn ich überhaupt
irgendeinen Plan befolgen soll, dann jedenfalls den, die Sache in
ihren bisherigen, engen, die Außenwelt noch nicht einbeziehenden
Grenzen zu halten, also ruhig zu bleiben, wo ich bin, und keine
großen, durch diese Sache veranlassten, auffallenden Veränderungen
zuzulassen, wozu auch gehört, mit niemandem davon zu sprechen, aber
dies alles nicht deshalb, weil es irgendein gefährliches Geheimnis
wäre, sondern deshalb, weil es eine kleine, rein persönliche und
als solche immerhin leicht zu tragende Angelegenheit ist und weil sie
dieses auch bleiben soll. Darin waren die Bemerkungen des Freundes
doch nicht ohne Nutzen, sie haben mich nichts Neues gelehrt, aber
mich in meiner Grundansicht bestärkt.
Wie
es sich ja überhaupt bei genauerem Nachdenken zeigt, dass die
Veränderungen, welche die Sachlage im Laufe der Zeit erfahren zu
haben scheint, keine Veränderungen der Sache selbst sind, sondern
nur die Entwicklung meiner Anschauung von ihr, insofern, als diese
Anschauung teils ruhiger, männlicher wird, dem Kern näher kommt,
teils allerdings auch unter dem nicht zu verwindenden Einfluss der
fortwährenden Erschütterungen, seien diese auch noch so leicht,
eine gewisse Nervosität annimmt.
Ruhiger
werde ich der Sache gegenüber, indem ich zu erkennen glaube, dass
eine Entscheidung, so nahe sie manchmal bevorzustehen scheint, doch
wohl noch nicht kommen wird; man ist leicht geneigt, besonders in
jungen Jahren, das Tempo, in dem Entscheidungen kommen, sehr zu
überschätzen; wenn einmal meine kleine Richterin, schwach geworden
durch meinen Anblick, seitlich in den Sessel sank, mit der einen Hand
sich an der Rückenlehne festhielt, mit der anderen an ihrem
Schnürleib nestelte, und Tränen des Zornes und der Verzweiflung ihr
die Wangen hinabrollten, dachte ich immer, nun sei die Entscheidung
da und gleich würde ich vorgerufen werden, mich zu verantworten.
Aber nichts von Entscheidung, nichts von Verantwortung, Frauen wird
leicht übel, die Welt hat nicht Zeit, auf alle Fälle aufzupassen.
Und was ist denn eigentlich in all den Jahren geschehn? Nichts
weiter, als dass sich solche Fälle wiederholten, einmal stärker,
einmal schwächer, und dass nun also ihre Gesamtzahl größer ist.
Und dass Leute sich in der Nähe herumtreiben und gern eingreifen
würden, wenn sie eine Möglichkeit dazu finden würden; aber sie
finden keine, bisher verlassen sie sich nur auf ihre Witterung, und
Witterung allein genügt zwar, um ihren Besitzer reichlich zu
beschäftigen, aber zu anderem taugt sie nicht. So aber war es im
Grunde immer, immer gab es diese unnützen Eckensteher und
Lufteinatmer, welche ihre Nähe immer auf irgendeine überschlaue
Weise, am liebsten durch Verwandtschaft, entschuldigten, immer haben
sie aufgepasst, immer haben sie die Nase voll Witterung gehabt, aber
das Ergebnis alles dessen ist nur, dass sie noch immer da stehn. Der
ganze Unterschied besteht darin, dass ich sie allmählich erkannt
habe, ihre Gesichter unterscheide; früher habe ich geglaubt, sie
kämen allmählich von überall her zusammen, die Ausmaße der
Angelegenheit vergrößerten sich und würden von selbst die
Entscheidung erzwingen; heute glaube ich zu wissen, dass das alles
von Alters her da war und mit dem Herankommen der Entscheidung sehr
wenig oder nichts zu tun hat. Und die Entscheidung selbst, warum
benenne ich sie mit einem so großen Wort? Wenn es einmal – und
gewiss nicht morgen und übermorgen und wahrscheinlich niemals –
dazu kommen sollte, dass sich die Öffentlichkeit doch mit dieser
Sache, für die sie, wie ich immer wiederholen werde, nicht zuständig
ist, beschäftigt, werde ich zwar nicht unbeschädigt aus dem
Verfahren hervorgehen, aber es wird doch wohl in Betracht gezogen
werden, dass ich der Öffentlichkeit nicht unbekannt bin, in ihrem
vollen Licht seit jeher lebe, vertrauensvoll und Vertrauen
verdienend, und dass deshalb diese nachträglich hervorgekommene
leidende kleine Frau, die nebenbei bemerkt ein anderer als ich
vielleicht längst als Klette erkannt und für die Öffentlichkeit
völlig geräuschlos unter seinem Stiefel zertreten hätte, dass
diese Frau doch schlimmstenfalls nur einen kleinen hässlichen
Schnörkel dem Diplom hinzufügen könnte, in welchem mich die
Öffentlichkeit längst als ihr achtungswertes Mitglied erklärt. Das
ist der heutige Stand der Dinge, der also wenig geeignet ist, mich zu
beunruhigen.
Dass
ich mit den Jahren doch ein wenig unruhig geworden bin, hat mit der
eigentlichen Bedeutung der Sache gar nichts zu tun; man hält es
einfach nicht aus, jemanden immerfort zu ärgern, selbst wenn man die
Grundlosigkeit des Ärgers wohl erkennt; man wird unruhig, man fängt
an, gewissermaßen nur körperlich, auf Entscheidungen zu lauern,
auch wenn man an ihr Kommen vernünftigerweise nicht sehr glaubt. Zum
Teil aber handelt es sich auch nur um eine Alterserscheinung; die
Jugend kleidet alles gut; unschöne Einzelheiten verlieren sich in
der unaufhörlichen Kraftquelle der Jugend; mag einer als Junge einen
etwas lauernden Blick gehabt haben, er ist ihm nicht übelgenommen,
er ist gar nicht bemerkt worden, nicht einmal von ihm selbst, aber,
was im Alter übrigbleibt, sind Reste, jeder ist nötig, keiner wird
erneu[er]t, jeder steht unter Beobachtung, und der lauernde Blick
eines alternden Mannes ist eben ein ganz deutlich lauernder Blick,
und es ist nicht schwierig, ihn festzustellen. Nur ist es aber auch
hier keine wirkliche sachliche Verschlimmerung.
Von
wo aus also ich es auch ansehe, immer wieder zeigt sich und dabei
bleibe ich, dass, wenn ich mit der Hand auch nur ganz leicht diese
kleine Sache verdeckt halte, ich noch sehr lange, ungestört von der
Welt, mein bisheriges Leben ruhig werde fortsetzen dürfen, trotz
allen Tobens der Frau."
Eigentlich
wollte ich die Kurzgeschichte nicht schreiben, aber die
Wikipedia-Kritik war doch zu interessant; die Wirtin aus Berlin stand
nur als Hilfe zur Beschreibung der Person Pate, mehr nicht, es geht
eher um existenzielle Sachen, auch um Selbstmord, das
Miteinanderleben, das Altern.
Finde
ich nicht überzeugend (was ich schrieb).