Reise
nach Georgental
Die
Briefe vom 04./05. Juli 1922 sind wie eine Selbstinszenierung, eine
möglicherweise so nicht gewollte.
Eine
möglicherweise so nicht gewollte Nabelschau, Inszenierung,
Theater-Szene; Begriffe, die mir dazu einfielen und die es ja
eigentlich nicht sind, sein können: Kafka schrieb einen Brief an
Oskar Baum, dass er ihn in Georgental besuchen werde, zwischen dem
15. und 20. Juli, nach Kämpfen mit sich, Pro und
Kontraargumentationen (Reisestrapazen versus Wiedersehensfreude, dass
Ottla dann Platz in ihrer Hütte in der Sommerfrische für einen
Besuch hätte, bei der er in Planá zu Besuch weilte, monatelang; er
dann in Prag vorbei schauen könnte): "Von Oskar kommt kein
Wort, er hat mich in seinem Thüringer Glück vergessen", so
beschwert Kafka sich noch bei Robert Klopstock, lt. Brod Anfang Juli
1922 (S. 381), dann kamen die Worte wohl doch, wie Kafkas oben
erwähnter Brief klar stellt; er bedankt sich bei Baum sogar, dass
alles so gut vorgeplant sei, wurde.
Dann
will er den Brief einwerfen, aber seine Schwester Ottla (David[ova])
meint dann, dass es besser sei, ein konkretes Datum zu benennen, er
hat nichts zu schreiben mit, nimmt den Brief mit zu ihr nach Hause,
lässt ihn liegen, diskutiert in einem Brief an Max Brod dann die
weiteren Argumente seines Aufenthaltsortes, unter dem primären
Gesichtspunkt des Schriftstellers, dass der sich an seinen
Schreibtisch mit den Zähnen fest beißen müsse, den so festhalten
(nach längerer Zeit schrieb er in Planá wieder, wohl am
"Schloss"-Roman), damit das Schreiben Erfolge zeitigen
würde. Das spielt sich in einer schlaflosen Nacht ab, in der Kafka
die Dämonen besiegen will; nur so könne er schreiben, dass das ganz
anders aussehen würde, als Schrifttum des hellen Tages; berühmte
Zitate enthält der Brodbrief, allerdings wird die Thematik da
verdichtet, könnte es sich auch nur um eine Momentaufnahme handeln,
weit eher als um vieles andere: "einem pensionierten Beamten
steht ja die Welt offen, soweit sie nicht mehr als tausend Kronen
monatlich verlangt." A.a.O., Seite 377; der davorige Brief an
Oskar Baum, einen Reisepass für Deutschland habe Kafka sich schon
besorgt (von Brod Ende Juni 1922 zugeordnet, eher erschiene mir
wahrscheinlicher, da Baums da noch eine Wohnung in Georgental suchen,
am 04.07. aber schon alles gemanagt hätten; man muss ja auch die
gegenseitigen Brieflaufzeiten bedenken, wann ist Ende eines Monats?).
Diese
Bezüge, Verwobenheiten sind mir erst langsam aufgegangen, wer kennt
schon Georgental, wie verschlägt es einen da hin?
Also
brauchte Kafka zum Schreiben Ruhe, Zeit, leidliche Gesundheit.
Um
zum Ausgangspunkt zu gelangen, die Inszenierung stammt dann wohl eher
von Brod, seine Reihenfolge der Briefe, erst der nicht abgeschickte,
dann der große Angstbrief der Schreckensnacht an Brod, als Resultat
sagt Kafka dann den Besuch ab: "Ich habe Oskar abtelegrafiert,
es ging nicht anders" (a.a.O., S. 387), dann schreibt er am 05.
Juli 1922 einen weiteren Brief an Oskar, in den er den am 04.
geschriebenen beilegt und den Inhalt des Telegramms auch: "Ich
telegrafiere euch heute: Kann leider überhaupt nicht kommen, Brief
folgt." In dem Brief selber schreibt er, dass der Brief komme,
witzig, als Telegrammzitat.
Angst
vor der Veränderung
Und
natürlich wusste Kafka da schon, dass er sterben musste, bereits
viel früher beklagte er die Hinauszögerung des Todes durch
Medikamente, Ärzte usw., was im Endeffekt doch die Todesangst
beklagt (ich wollte ursprünglich belegt schreiben): Ich will nicht
sterben.
Er
litt da wohl unter einer Lärm-Phobie.
Bitterer
(oder verbitterter) Zynismus
Wie
viele verschiedene Worte doch zu einem Ziel führen können: Kafkas
Vater Hermann sollte mit siebzig leuchtende Augen bekommen haben, vor
Stolz, als er von seinem Sohn sprach (Kafka ist hier immer gleich
Franz), im Krankenhaus, nach einer Operation, Heinrich Weltsch
zufolge; Brod steckte das Kafka, der antwortete dem letztgenannten im
Brief von Ende Juli 1922 aus Planá: "Was wären hier für
Begründungen des Augenleuchtens? Ein heiratsunfähiger, keine Träger
des Namens beibringender Sohn; pensioniert mit 39 Jahren; nur mit dem
exzentrischen, auf nichts anderes als das eigene Seelenheil oder
Unheil abzielenden Schreiben beschäftigt; lieblos; fremd dem
Glauben, nicht einmal das Gebet für das Seelenheil ist von ihm zu
erwarten; lungenkrank, hat sich die Krankheit überdies nach des
Vaters äußerlich ganz richtiger Ansicht geholt, als er zum ersten
Mal für einige Zeit aus der Kinderstube entlassen, sich, zu jeder
Selbstständigkeit unfähig, das ungesunde Schönbornzimmer
ausgesucht hatte. Das ist der Sohn zum Schwärmen."
Und
vorher noch lobte er seine Nichte so sehr, als die gute Vera sich auf
den Po setzte, dass sie lächelte, als ob sie "das Kunststück
wahren Sich-Setzens" erfunden hätte (alles a.a.O., S. 401).
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