Samstag, 29. Juli 2017

Georgental-Theater/Stolz des Vaters/Witzige Briefe/Kafka at his Best

Reise nach Georgental
Die Briefe vom 04./05. Juli 1922 sind wie eine Selbstinszenierung, eine möglicherweise so nicht gewollte.
Eine möglicherweise so nicht gewollte Nabelschau, Inszenierung, Theater-Szene; Begriffe, die mir dazu einfielen und die es ja eigentlich nicht sind, sein können: Kafka schrieb einen Brief an Oskar Baum, dass er ihn in Georgental besuchen werde, zwischen dem 15. und 20. Juli, nach Kämpfen mit sich, Pro und Kontraargumentationen (Reisestrapazen versus Wiedersehensfreude, dass Ottla dann Platz in ihrer Hütte in der Sommerfrische für einen Besuch hätte, bei der er in Planá zu Besuch weilte, monatelang; er dann in Prag vorbei schauen könnte): "Von Oskar kommt kein Wort, er hat mich in seinem Thüringer Glück vergessen", so beschwert Kafka sich noch bei Robert Klopstock, lt. Brod Anfang Juli 1922 (S. 381), dann kamen die Worte wohl doch, wie Kafkas oben erwähnter Brief klar stellt; er bedankt sich bei Baum sogar, dass alles so gut vorgeplant sei, wurde.
Dann will er den Brief einwerfen, aber seine Schwester Ottla (David[ova]) meint dann, dass es besser sei, ein konkretes Datum zu benennen, er hat nichts zu schreiben mit, nimmt den Brief mit zu ihr nach Hause, lässt ihn liegen, diskutiert in einem Brief an Max Brod dann die weiteren Argumente seines Aufenthaltsortes, unter dem primären Gesichtspunkt des Schriftstellers, dass der sich an seinen Schreibtisch mit den Zähnen fest beißen müsse, den so festhalten (nach längerer Zeit schrieb er in Planá wieder, wohl am "Schloss"-Roman), damit das Schreiben Erfolge zeitigen würde. Das spielt sich in einer schlaflosen Nacht ab, in der Kafka die Dämonen besiegen will; nur so könne er schreiben, dass das ganz anders aussehen würde, als Schrifttum des hellen Tages; berühmte Zitate enthält der Brodbrief, allerdings wird die Thematik da verdichtet, könnte es sich auch nur um eine Momentaufnahme handeln, weit eher als um vieles andere: "einem pensionierten Beamten steht ja die Welt offen, soweit sie nicht mehr als tausend Kronen monatlich verlangt." A.a.O., Seite 377; der davorige Brief an Oskar Baum, einen Reisepass für Deutschland habe Kafka sich schon besorgt (von Brod Ende Juni 1922 zugeordnet, eher erschiene mir wahrscheinlicher, da Baums da noch eine Wohnung in Georgental suchen, am 04.07. aber schon alles gemanagt hätten; man muss ja auch die gegenseitigen Brieflaufzeiten bedenken, wann ist Ende eines Monats?).
Diese Bezüge, Verwobenheiten sind mir erst langsam aufgegangen, wer kennt schon Georgental, wie verschlägt es einen da hin?
Also brauchte Kafka zum Schreiben Ruhe, Zeit, leidliche Gesundheit.
Um zum Ausgangspunkt zu gelangen, die Inszenierung stammt dann wohl eher von Brod, seine Reihenfolge der Briefe, erst der nicht abgeschickte, dann der große Angstbrief der Schreckensnacht an Brod, als Resultat sagt Kafka dann den Besuch ab: "Ich habe Oskar abtelegrafiert, es ging nicht anders" (a.a.O., S. 387), dann schreibt er am 05. Juli 1922 einen weiteren Brief an Oskar, in den er den am 04. geschriebenen beilegt und den Inhalt des Telegramms auch: "Ich telegrafiere euch heute: Kann leider überhaupt nicht kommen, Brief folgt." In dem Brief selber schreibt er, dass der Brief komme, witzig, als Telegrammzitat.

Angst vor der Veränderung
Und natürlich wusste Kafka da schon, dass er sterben musste, bereits viel früher beklagte er die Hinauszögerung des Todes durch Medikamente, Ärzte usw., was im Endeffekt doch die Todesangst beklagt (ich wollte ursprünglich belegt schreiben): Ich will nicht sterben.
Er litt da wohl unter einer Lärm-Phobie.

Bitterer (oder verbitterter) Zynismus
Wie viele verschiedene Worte doch zu einem Ziel führen können: Kafkas Vater Hermann sollte mit siebzig leuchtende Augen bekommen haben, vor Stolz, als er von seinem Sohn sprach (Kafka ist hier immer gleich Franz), im Krankenhaus, nach einer Operation, Heinrich Weltsch zufolge; Brod steckte das Kafka, der antwortete dem letztgenannten im Brief von Ende Juli 1922 aus Planá: "Was wären hier für Begründungen des Augenleuchtens? Ein heiratsunfähiger, keine Träger des Namens beibringender Sohn; pensioniert mit 39 Jahren; nur mit dem exzentrischen, auf nichts anderes als das eigene Seelenheil oder Unheil abzielenden Schreiben beschäftigt; lieblos; fremd dem Glauben, nicht einmal das Gebet für das Seelenheil ist von ihm zu erwarten; lungenkrank, hat sich die Krankheit überdies nach des Vaters äußerlich ganz richtiger Ansicht geholt, als er zum ersten Mal für einige Zeit aus der Kinderstube entlassen, sich, zu jeder Selbstständigkeit unfähig, das ungesunde Schönbornzimmer ausgesucht hatte. Das ist der Sohn zum Schwärmen."
Und vorher noch lobte er seine Nichte so sehr, als die gute Vera sich auf den Po setzte, dass sie lächelte, als ob sie "das Kunststück wahren Sich-Setzens" erfunden hätte (alles a.a.O., S. 401).

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