Montag, 31. Juli 2017

"Über Franz Kafka"/Aus dem Fenster: Zu springen oder nicht?/Pragmatismus/Brod/30 000 Gulden

Oftmals, so auch hier
Max Brod legte einen naiven, durchaus gesunden Pragmatismus an den Tag (auch wenn er z.B. seine Kafkabiografie zusammen schusterte, im fünften Kapitel "Die Verlobungsjahre" gibt er als Schreibjetztzeit Hochsommer 1961 an, S. 123, im Gegensatz zu Seite 13, da 1937: "Über Franz Kafka"; möglicherweise gehört auch das zum Pragmatismus, so viel Geld wie möglich bei geringstem Aufwand raus zu schlagen?), wie in seinem Brief an Felice Bauer vom 22.11.1912 erkennbar ist, er schreibt ihr u.a. über Franz: "Wenn die Eltern ihn so lieben, warum geben sie ihm nicht 30 000 Gulden..., damit er aus dem Büro austreten kann und irgendwo an der Riviera, in einem billigen Örtchen, die Werke schafft, die Gott durch sein Gehirn in die Welt zu setzen verlangt?" A.a.O., S. 126.
Und wie immer, versagte Gott auch da. Nein, die Eltern verlangten sogar noch Franzens Knechte in der Fabrik, die den an Selbstmord denken ließ (der schrieb Brod einen Abschiedsbrief, der zu einem Willkommensbrief wurde), so dass Brod deshalb an Franzens Mutter einen 8-seitigen Brief schrieb (siehe S. 126), die den danach wenigstens von dieser Fron befreite.
Genauso Felicens Eltern, obwohl ich nicht genau weiß, warum sie nicht direkt nach der Matura studierte, wenn sie ihre Tochter selbstlos lieben würden, dann hätten sie ihr das Studium ohne Job ermöglicht, so sich viel Geld, Zeit und ihr die Lungen-Krankheiten erspart.
Und hoffentlich macht sie es demnächst, und wenn mit dem Erbe ihres Opas...
Auch Kafkas Eltern hätten Franz so wohl noch von der Lungenkrankheit erretten können, obwohl fraglich ist, dass dafür Felice B. die richtige Ansprechpartnerin war; und weil die Felice-(meine Feli!)-Franz-Parallele so offensichtlich ist, ergänze ich den eben offen gelassenen Passus des Briefs: "wie einer Tochter", oder analog: Warum geben sie ihr nicht die 30 000 Euro wie einem Sohn?

Schreibt so ein Selbstmörder?
"...Und jetzt noch einen Kuss und gute Nacht, damit ich morgen ein Fabrikchef bin, wie es verlangt wird." Seite 85.
Könnten auch Worte von Felice sein, ihr Wienerisch ähnelt ja durchaus der Sprache Kafkas, obwohl sie Kärntnerisch sagt, eher, jedenfalls schön.
Allerdings kann ich schon verstehen, dass die Selbstmordreflektionen Kafkas in dem Brief, gerade bei einem introvertierten Menschen, Brod schockiert haben, so dass er sofort an dessen Mutter schrieb, die sich auf die Suche nach einem Kompagnon machte; Brod hat die Kernaussage, dass es kein Abschiedsbrief ist, nicht verstanden, dass Kafka das Schreiben wichtig war, denn der Tod wäre eine ewige Unterbrechung des Schreibens gewesen, nicht nur eine vorläufige, und zu einem Ende kam "Der Verschollene" dann ja trotzdem nicht.
Und dann addierte Kafka noch am Morgen, den ersten Teil des Briefes schrieb er um halb 1 in der Nacht (lt. Brod am 08.10.1912, Br 107; ich vermute den 07.): "Und doch, das darf ich jetzt am Morgen auch nicht verschweigen, ich hasse sie alle der Reihe nach und denke, ich werde in diesen 14 Tagen kaum die Grußworte für sie fertig bringen. Aber Hass - und das richtet sich wieder gegen mich - gehört doch mehr außerhalb des Fensters, als ruhig schlafend im Bett. Ich bin weit weniger sicher als in der Nacht." (Br 109) Nicht zu springen...
Und so hatte Brod doch recht, nur hatte er diesen Abschnitt in der Kafka-Biografie nicht angeführt.
Max Brod: Über Franz Kafka. Frankfurt am Main, 1966.
Br: Franz Kafka, Gesammelte Werke herausgegeben von Max Brod: "Briefe 1902 - 1924", 2. Auflage, Frankfurt am Main 1966.

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