Kafka
wühlt die eigenen Urängste in einem, in sich selbst, auf!
Ich
glaube vieles von Kafka zu verstehen, u.a. dass es bei einigen
Stories nichts zu verstehen gibt, sie einfach unvollendet sind. Gute
oder schlechte, auch mittelmäßige Ideen, Spontaneinfälle, wurden
nicht zu Ende geführt (das Interesse erlahmte, Unzufriedenheit mit
der Geschichte, dem Inhalt stellten sich ein), weil sie einfach einer
Augenblicks-Idee entsprangen und dann nicht in letzter Konsequenz
durchgeführt wurden oder werden konnten: Müdigkeit, der regelmäßige
Arbeitstrott im Büro, erlahmendes Interesse, Selbstzweifel, der
Faden konnte nicht mehr richtig aufgenommen werden, riss,
Hypochondrie, tatsächliche Krankheiten; zum Ende (des Lebens) hin
auch Nachlassen der geistigen Potenz, Konzentrationsmängel,
Lethargie. Ein weiterer Grund für die Mystifikation Kafkas:
kommerzielle Ausschlachtung durch M. Brod und diverse Verlage, u.a.
Reißen aus dem Zusammenhang, Glorifizierung (jedes, aber auch jedes
Wort wurde im Original übernommen, im Laufe der Neuausgaben und
Sichtungen des Nachlasses ohne zu große, zeitliche Sorgfalt);
sprachliche Deutungsversuche: Ich bin der Meinung, dass Kafka einfach
die Grammatik nicht 100%ig beherrschte, Indiz, z.B. bei schnellem
Schreiben, vor allem abends und in Zeitnot, macht man einiges
Nebensächliche verkehrt, die Redigierung fehlt.
Trotz
allem ist Kafka ein großer Autor.
Mandatur
"Es
ist ein Mandat" ist ein Gleichnis, das zu Beginn der Erzählung
erklärt wird, ein schlechtes Gleichnis übrigens, mit einem
schwachsinnigen Titel (von wem stammt er?) und einer logischen
Aussage, die aber erst erkannt und formuliert werden musste:
"Sterbend lebt man, lebend stirbt man."
Ich
selbst schrieb nichts, da ich mich schlecht fühlte, erst Kafka
machte mich fit...
Ein
Tag später
Kafka
hat wie eine Sucht von mir Besitz ergriffen, jetzt lese ich schon das
dritte Buch in 4 Tagen von ihm. Sogar "Der Prozess" hat
mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt, Ausnahme die
Seiten 81 bis 92, Ende des 3. Kapitels der 3. Ausgabe der Gesammelten
Werke.
Im
Gegensatz zu Brod würde ich die Kapitel bzw. Fragmente wie folgt
ordnen:
1).
"Erstes Kapitel"
2).
"Viertes Kapitel"
3).
"Zweites Kapitel"
4).
"Drittes Kapitel"
5).
"Zu Elsa"
6).
"Fünftes Kapitel" ("Der Prügler"), ein
notwendiges Kapitel, irgendwo nach Kapitel zwei anzuordnen, könnte
aber auch bis zum 7. Kapitel stehen, inhaltlich, der Ort des
Geschehens ist fraglich.
7).
"Sechstes Kapitel"
8).
"Ein Fragment" (könnte auch Teil des sechsten Kapitels
sein, der Abschluss).
9).
"Siebentes Kapitel"
10).
"Staatsanwalt", laut Aussagen Brods zeitlich und inhaltlich
nicht einzuordnen.
11).
"Achtes Kapitel"
12).
"Das Haus", der gestrichene Teil, zumindest aber seit "Wie
einfach war die Überlistung des Gerichtes!..." könnte auch
nach dem zehnten Kapitel ("Ende") handeln.
13).
"Neuntes Kapitel"
14).
"Fahrt zur Mutter"
15).
"Zehntes Kapitel"
Das
Fragment "Kampf mit dem Direktor-Stellvertreter" ist weder
zeitlich noch inhaltlich eindeutig einzuordnen, vermutlich aber
zwischen Kapitel sieben und neun (K. fühlte sich mal wieder stark).
Vor
dem zehnten Kapitel fehlen einige, da K. dort völlig sich ergeben
hat, nicht mehr kämpft.
Der
Roman beginnt mit K. als lässigem Helden, der alles nicht zu eng
sieht, bis Kapitel sechs. Vom sechsten bis neunten Kapitel ist er vom
Prozess doch betroffen, teilweise stark kämpfend, teilweise
mitgenommen, depressiv und auch kränklich. Zwischen achtem Kapitel,
dem "Haus", und dem neuntem Kapitel fehlen einige (zeitlich
zu große Lücken).
Der
Roman beginnt als Kritik an gesellschaftlichen Zuständen, dem
Gerichtswesen, der Verwaltung (Verselbstständigung und
Unüberschaubarkeit), Staat, Bestechlichkeit u.a., dann Verlorenheit
des Individuums, der Intelligentzija (Selbstbedauern Kafkas, auch die
Kapitel mit den Frauen lassen darauf schließen), etc. Dann folgen
religiöse Wirrnisse (ziemlich planlose Mystifizierung des "Gerichts"
und der Vollzugsbeamten), sinnlose Erklärung des Gleichnisses vom
"Türhüter": Kafka bringt zwar gute Gleichnisse, ist aber
nicht im Stande, sie zu erklären, siehe auch "Es ist ein
Mandat" (es ist an und für sich schwachsinnig, einleuchtende
Gleichnisse umständlich zu erklären), logisch nicht entwirrbare, da
verwirrte Darstellung von Handlungen der Personen "oben und
unten", da Franz seinem "...hohen religiösen Maßstab...
nicht entsprechen konnte", Max Brod, den er hatte.
Ich
bin mir absolut sicher, dass George Orwell den "Prozess"
gelesen hat: "1984" ist eine komprimierte,
durchorganisierte, neuere Fassung des "Prozesses" (am
Anfang des Prozesses schien es mir, als lese ich "1984"),
das einzige, was den Roman sinnvoll macht, neben den vielen
Deutungsversuchen eines einfachen Werkes... Es wäre nicht schlimm
gewesen, kein Verlust für die Literatur, wenn das Manuskript
verbrannt worden wäre!
Urängste
(Glauben und Aberglauben, Himmel und Hölle, Angst vor dem Etwas nach
dem Tode) ließ das Buch im ersten Augenblick bei mir entstehen,
nicht nur der Schlussabsatz, dass K. das Messer zweimal in seinem
Herzen umgedreht wurde. "Wie ein Hund!" verreckte er.
Eine
Frage stellt Kafka speziell im Schlusskapitel: Selbstmord, ja oder
nein, Warten auf den Tod (z.B. bei schwerer Krankheit) oder
Selbst-Erlösung und dann Bestrafung (durch Gott)? Gottseidank ist
Kafka vieldeutbar, falls Brods überreligiöse Deutung zutreffen
würde, würde ich jede Minute mit Kafka als Verschwendung ansehen,
aber Kafka hat ja des Öfteren in sein Tagebuch geschrieben, dass
Brod es nicht blickt.
Ziemlich
chaotischer Tag, d.h. Unvorhergesehenes geschah, z.B. Advokatos
Besuch, und Vorhersehbares geschah anders, z.B. das Lesen von Kafka
(mein Schreiben ist chaotisch!)?? Das große Gewitter war auch
überraschend, die Aufstehzeit ungewöhnlich, 11 Uhr 50, spät. Am
besten, ich hör auf: Das "Mandat" habe ich nicht geblickt,
mit anderen, falschen Augen gesehen, Advokato nicht erklären können.
"Das Schloss" begonnen...
Siehe
auch "Dichter über ihre Dichtungen", Franz Kafka,
herausgegeben von Erich Heller und Joachim Beug, E. Heimeran/S.
Fischer Verlag, München 1969; "Es ist ein Mandat", in "Die
Aeroplane in Brescia und andere Texte", mit einem Nachwort von
Reinhard Lettau, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1977; "Der
Prozess", S. Fischer Verlag, FfM 1965, "Das Schloss",
S. Fischer Verlag, FfM, alles von Franz Kafka; und "1984"
von George Orwell, Ullstein Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main,
Berlin, Wien 1978.
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