Mittwoch, 24. Januar 2018

"Das Urteil", 2

Nach Franz Kafka
Georg Bendemann musste aus Wien stammen, denn St. Petersburg, wohin es seinen Freund verschlagen hatte, war weit weg, dann zog es ihn zum Wasser hin, auf eine Brücke über den Fluss Wien, wo er das Urteil seines Vaters an sich vollstrecken wollte, der nach dem Ausspruch auf seine Polster darnieder sank in seiner schmutzigen Leibwäsche und zu Tode kam, als seine Begeherin schon zu ihm eilte: zu spät, zu spät!
Als ehemals geübter Turner, nun erfolgreicher Geschäftsmann, schwang Georg sich über das Geländer der Brücke, die nah an seinem Hause lag; seine Hände klammerten sich fest, noch gab er dem Abgrund nicht nach, ein Bus donnerte über die Brücke, den Georg noch sah, dann verließen ihn die Kräfte, er stürzte hinab: Der Verkehr rollte wie in einem unendlichen Fluss aus Geräuschen in die Ewigkeit hinauf, als er auf den Flussboden knallte; er hatte sich ein Bein gebrochen, verfluchte sein Missgeschick, aber der Fluss war nun mal nicht tief, begradigt, das hätte er wissen müssen; er schrie um Hilfe, jemand kam zu seiner Rettung, die Verletzung war nicht so gefährlich, so dass seine Verlobung noch rechtzeitig statt finden konnte, ohne den Freund aus Russland, der da an einer Lungeninfektion verstarb.
Und so lebte Georg glücklich bis ans Ende seiner Tage mit der ehemaligen Frau Brandenfeld, nun Bendemann, die für ihn die Röcke hob und auch so Glück bereitete, da sie beim Tode ihrer Eltern als Einzelkind eine Menge erbte und auch schon die Aussteuer war beträchtlich, so dass Georg sein Geschäft weiter ausbauen konnte, ja sogar seinem Freunde eine Position als Geschäftsführer hätte anbieten können, wenn der noch lebte.
Manchmal liegt halt das Unglück in der Ferne, manchmal so nah.
Auch Georgs Vater hatte noch ein kleines Vermögen in seinen Polstern versteckt gehabt, die er vor Georg verheimlichte, als er die Geschäfte seinem Sohn übergab, nach dem Tode seiner Frau; so stellt sich schon die Frage, ob Georg nur seinen Vater hinterging und seinen erfolglosen Freund, der ja nicht in die Ferne hätte ziehen müssen, sondern auch seine Familie ihn, und hätte der Freund aus der Ferne nicht Georg um Hilfe bitten können?

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