Überhaupt
total egal
"Heute
sprach ich beim Frühstück mit der Mutter zufällig über Kinder und
Heiraten, nur ein paar Worte, aber ich bemerkte dabei zum ersten Mal
deutlich, wie unwahr und kindlich die Vorstellung ist, die sich meine
Mutter von mir macht. Sie hält mich für einen gesunden jungen Mann,
der ein wenig an der Einbildung leidet, krank zu sein.
Diese
Einbildung wird mit der Zeit von selbst schwinden, eine Heirat
allerdings und Kinderzeugung würden sie am gründlichsten
beseitigen. Dann würde auch das Interesse an der Literatur auf jenes
Maß zurückgehn, das vielleicht den Gebildeten nötig ist. Das
Interesse an meinem Beruf oder an der Fabrik oder an dem, was mir
gerade in die Hände kommt, wird in selbstverständlicher ungestörter
Größe einsetzen. Zu dauernder Verzweiflung an meiner Zukunft ist
daher nicht der geringste, mit keiner Ahnung zu berührende Grund; zu
zeitweiliger Verzweiflung, die aber auch nicht tief geht, ist dann
Veranlassung, wenn ich wieder einmal den Magen verdorben zu haben
glaube oder wenn ich, weil ich zu viel schreibe, nicht schlafen kann.
Lösungsmöglichkeiten gibt es tausende. Die wahrscheinlichste ist,
dass ich mich plötzlich in ein Mädchen verliebe und von ihm nicht
mehr werde ablassen wollen. Dann werde ich sehn, wie gut man es mit
mir meint und wie man mich nicht hindern wird. Wenn ich aber
Junggeselle werde wie der Onkel in Madrid, wird es auch kein Unglück
sein, weil ich in meiner Gescheitheit mich schon einzurichten wissen
werde..."
Ob
man etwas sagt oder nicht, es ist ja alles richtig und egal und gut!
"...Eine
Stunde dann auf dem Kanapee über Aus-dem-Fenster-Springen
nachgedacht"... (wegen Ärger mit der Fabrik): "...Gegen
das Fenster laufen und durch die zersplitterten Hölzer und Scheiben,
schwach nach Anwendung aller Kraft, die Fensterbrüstung
überschreiten." Franz Kafka: "Tagebücher 1910 - 1923",
herausgegeben von Max Brod, Frankfurt am Main 1973, a. a. O., Seiten
125, 166 und 134 (19. Dezember 1911; 8. März 1912; 25. Dezember
1911).
Und
dann war da noch der russische Beschneider
Der
die Schwänze ablutschte, die blutigen Glieder aussaugte (nach dem
Beschneiden); diesmal kein Zitat (les selber nach): "Beschneidung
in Russland", a. a. O., S. 132 f. (Russland steht für far away,
weit weg; das "f." für Seite 133 [die auf Seite 132
folgende, aber nur die nächste Seite, sonst würde ff. stehen: die
folgenden {warum, weiß ich übrigens nicht, ist wohl geschichtlich
bedingt, aber genauso schwachsinnig wie die Abkürzung Ew. für euer,
z.B. Ew. Hochwohlgeboren, Briefkopfanrede für Kaiser, Päpste}]).
Ich
habe übrigens einen Leistungskurs gewechselt
Von
Deutsch zu Geschichte; da Geschichte ein vorgesehenes Tiltfach war
(lösch es aus, Josie!), hole ich Geschichtsdefizite auf, habe eine
andere Deutschdozentin, nehme gerade Kafka durch, kurze Erzählungen
(nach "Gibs auf!" "Auf der Galerie"), da möchte
ich natürlich wieder fit sein, lese also die Tagebücher, die ich
schon seit Weihnachten vorletzten Jahres besitze (mir damals von
meiner Schwester schenken ließ), aber sie eigentlich zu schwierig
fand (nach 30 Seiten), jetzt bin ich aber motiviert und auf Seite 215
angelangt (die Reisetagebücher habe ich schon gelesen, in der
chronologischen Reihenfolge), würde es insgesamt aber viel
sinnvoller finden, wenn Kafkas Gesamtwerk chronologisch vorliegen
würde (Briefe, Prosa, Tagebücher, vielleicht sogar die Romane), da
Franz ja des Öfteren auf sein Werk, einzelne Stücke verwies, des
weitern, damit die Lehrer einem nicht so leicht einen vorkrücken
können, von einer Sache, von der sie eigentlich wenig Ahnung haben,
aber die Autorität doch herauszustellen suchen, in etwa so:
"Natürlich ist Kafka viel deutbar, aber die Verschmelzung von
tatsächlicher und scheinbarer Realität muss betont werden - und
vergesst die Symbolik nicht!" Am besten die jüdische...
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