Sonntag, 26. März 2017

Tagebücher 1910 – 1923/Vollkommen gleich/Heirat und Junggesellentum/Der russische Beschneider/Firmenerbe

Überhaupt total egal
"Heute sprach ich beim Frühstück mit der Mutter zufällig über Kinder und Heiraten, nur ein paar Worte, aber ich bemerkte dabei zum ersten Mal deutlich, wie unwahr und kindlich die Vorstellung ist, die sich meine Mutter von mir macht. Sie hält mich für einen gesunden jungen Mann, der ein wenig an der Einbildung leidet, krank zu sein.
Diese Einbildung wird mit der Zeit von selbst schwinden, eine Heirat allerdings und Kinderzeugung würden sie am gründlichsten beseitigen. Dann würde auch das Interesse an der Literatur auf jenes Maß zurückgehn, das vielleicht den Gebildeten nötig ist. Das Interesse an meinem Beruf oder an der Fabrik oder an dem, was mir gerade in die Hände kommt, wird in selbstverständlicher ungestörter Größe einsetzen. Zu dauernder Verzweiflung an meiner Zukunft ist daher nicht der geringste, mit keiner Ahnung zu berührende Grund; zu zeitweiliger Verzweiflung, die aber auch nicht tief geht, ist dann Veranlassung, wenn ich wieder einmal den Magen verdorben zu haben glaube oder wenn ich, weil ich zu viel schreibe, nicht schlafen kann. Lösungsmöglichkeiten gibt es tausende. Die wahrscheinlichste ist, dass ich mich plötzlich in ein Mädchen verliebe und von ihm nicht mehr werde ablassen wollen. Dann werde ich sehn, wie gut man es mit mir meint und wie man mich nicht hindern wird. Wenn ich aber Junggeselle werde wie der Onkel in Madrid, wird es auch kein Unglück sein, weil ich in meiner Gescheitheit mich schon einzurichten wissen werde..."
Ob man etwas sagt oder nicht, es ist ja alles richtig und egal und gut!
"...Eine Stunde dann auf dem Kanapee über Aus-dem-Fenster-Springen nachgedacht"... (wegen Ärger mit der Fabrik): "...Gegen das Fenster laufen und durch die zersplitterten Hölzer und Scheiben, schwach nach Anwendung aller Kraft, die Fensterbrüstung überschreiten." Franz Kafka: "Tagebücher 1910 - 1923", herausgegeben von Max Brod, Frankfurt am Main 1973, a. a. O., Seiten 125, 166 und 134 (19. Dezember 1911; 8. März 1912; 25. Dezember 1911).

Und dann war da noch der russische Beschneider
Der die Schwänze ablutschte, die blutigen Glieder aussaugte (nach dem Beschneiden); diesmal kein Zitat (les selber nach): "Beschneidung in Russland", a. a. O., S. 132 f. (Russland steht für far away, weit weg; das "f." für Seite 133 [die auf Seite 132 folgende, aber nur die nächste Seite, sonst würde ff. stehen: die folgenden {warum, weiß ich übrigens nicht, ist wohl geschichtlich bedingt, aber genauso schwachsinnig wie die Abkürzung Ew. für euer, z.B. Ew. Hochwohlgeboren, Briefkopfanrede für Kaiser, Päpste}]).

Ich habe übrigens einen Leistungskurs gewechselt
Von Deutsch zu Geschichte; da Geschichte ein vorgesehenes Tiltfach war (lösch es aus, Josie!), hole ich Geschichtsdefizite auf, habe eine andere Deutschdozentin, nehme gerade Kafka durch, kurze Erzählungen (nach "Gibs auf!" "Auf der Galerie"), da möchte ich natürlich wieder fit sein, lese also die Tagebücher, die ich schon seit Weihnachten vorletzten Jahres besitze (mir damals von meiner Schwester schenken ließ), aber sie eigentlich zu schwierig fand (nach 30 Seiten), jetzt bin ich aber motiviert und auf Seite 215 angelangt (die Reisetagebücher habe ich schon gelesen, in der chronologischen Reihenfolge), würde es insgesamt aber viel sinnvoller finden, wenn Kafkas Gesamtwerk chronologisch vorliegen würde (Briefe, Prosa, Tagebücher, vielleicht sogar die Romane), da Franz ja des Öfteren auf sein Werk, einzelne Stücke verwies, des weitern, damit die Lehrer einem nicht so leicht einen vorkrücken können, von einer Sache, von der sie eigentlich wenig Ahnung haben, aber die Autorität doch herauszustellen suchen, in etwa so: "Natürlich ist Kafka viel deutbar, aber die Verschmelzung von tatsächlicher und scheinbarer Realität muss betont werden - und vergesst die Symbolik nicht!" Am besten die jüdische...

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